„Inspiration durch Begegnung“ – das Gespräch mit
Ulrich M. Kleber, Geschäftsführung
CAMPUS: Herr Kleber, Sie wurden gebeten, als Geschäftsführung an unserer Schule tätig zu sein. Wie verstehen Sie diese besonders verantwortungsvolle Aufgabe?
UMK: Erst mal hat mich sehr gefreut, mit wieviel Vertrauen mir diese besondere Aufgabe, die momentan für mich nur teilzeitlich möglich ist, zugesprochen wurde. Die operativen Geschäftsführungsprozesse auf der finanziellen Seite sind in sehr guten fachlichen Händen und ich darf mich ganz dem aktuellen Schulbedürfnis entsprechend auch einer strategisch-operativen Geschäftsführung widmen. Ich versuche neben den täglichen Büroaufgaben bei Prozess- und Strukturentwicklungen gestalten zu helfen, so weit es die Mitverantwortlichen der Schulgemeinschaft wollen.
CAMPUS: Normalerweise kümmert sich die Geschäftsführung doch um die Finanzen …
UMK: Ja selbstverständlich. In Klein- und Mittelstandsunternehmen kommt ja die Geschäftsführung in der Regel aus dem Kerngeschäft des Unternehmens, und das ist hier in dieser Schul-GmbH die Pädagogik. Nur in größeren Konzernen kann es passieren, dass das Management keine solche Nähe mehr zum Alltag der MitarbeiterInnen und Kunden hat. Entsprechend ist dann – manchmal leider – auch das Betriebsklima. Die Realität meines Tagesgeschäftes ist zurzeit ca. 2/3 Kommunikation und 1/3 Verwaltungsarbeit. Also gefühlt (!) zusammen etwa 200% …
CAMPUS: Sie sind auch noch Unternehmensberater und leiten einen Bildungsträger. Gibt es da einen Zusammenhang zur Schule?
UMK: Unbedingt. In Konzernen beispielsweise sind die Fragen der Unternehmenskultur und der inneren Haltung von Führungskräften ganz im Vordergrund. Also gewissermaßen das geistige Gerüst von Unternehmen. An der anderen Leitplanke unseres Arbeitsmarktes, versorgen wir im FORUM Berufsbildung Stuttgart erwerbslos gewordene Menschen mit einer mehrmonatigen Weiterbildung in modernen Dienstleistungs-Berufsfeldern. Hier ist die Lernmotivation durch anwendungsorientierte Methoden im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung, der entscheidende Erfolgsfaktor.
CAMPUS: Was sind denn aus Ihrer Sicht zur Zeit die vordringlichsten Themen unserer Schule?
UMK: Als Priorität ganz sicher die Weiterentwicklung der pädagogischen und waldorfpädagogischen Qualität, im Kontext der aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen. Dazu die Entwicklung der notwendigen Rahmenbedingungen, wie unterstützende Strukturen und räumliche Möglichkeiten. Dies alles kann an einem solchen besonderen „Ort der Begegnung“ nur erfolgreich werden, wenn die positiven Kommunikationsqualitäten zwischen Lehrern, Eltern, Schülern und der Öffentlichkeit fortschreitend gesteigert werden. Bildung und Erziehung sind ja im Kern eine sehr hochwertige Beziehungs-Dienstleistung.
CAMPUS: Gibt es praktische Alltagsbeispiele zu einer konkreten Themenbearbeitung?
UMK: Ja klar, bei der Fülle der Themen sind die Bearbeitungsmethoden, also das „Wie“, allentscheidend. Durch die unternehmerische Rechtsform der Schule, also eine GmbH, können die Entscheidungswege sehr kurz gehalten werden. Das heißt in schwierigen Zeiten kann eine Geschäftsführung auch agieren und nicht nur reagieren. Dadurch entsteht beispielsweise viel Gestaltungsfreiraum für das Kollegium in den Kernfragen der Pädagogik mit den Schülern und keine quälenden basisdemokratischen Entscheidungsprozesse, beispielsweise über ein anzuschaffendes Instrument, über viele Konferenzen hinweg. Hier tun sich oft abgründige Nebenschauplätze auf, die zu unnötigen Polarisierungen in Kollegien führen können. Einfache Themen werden dann instrumentalisiert für grundsätzliche Gesinnungsfragen bei einzelnen Kollegen. Dazu könnte ich viele Geschichten aus Schulkonflikt-Beratungen erzählen.
CAMPUS: Schüler, Lehrer und Eltern haben den Eindruck, dass Sie diese Geschäftsführung-Aufgabe sehr gerne und sehr kommunikativ erfüllen – wie kommt das?
UMK: Meine Leistungsmotivation wird immer durch Begegnungen stimuliert. Wenn ich Menschen begegne, die eine Offenheit für Fragen und Entwicklungen spüren lassen, wie dies gerade bei Kindern eine natürliche Lebenshaltung ist, werde ich positiv inspiriert. Wenn andererseits die Sorgen und Beschwerden überwiegen, versuche ich diese mit meinen bescheidenen Lösungsmöglichkeiten zu überwinden helfen. Zwischenmenschliche Konflikte sind eine Art Eintrübung menschlicher Beziehungen, für die es ja viele biografischen Schicksalsgründe geben kann.
CAMPUS: Wie könnten Sie denn Ihre Möglichkeiten zur Geschäftsführung dieser Schule beschreiben?
UMK: Erst mal durch meine beruflichen Erfahrungen und die bescheidenen Einsichten und Kenntnisse in über 22 Jahren praktizierter Waldorfpädagogik und Selbstverwaltung und 15 Jahren Unternehmens- und Schulberatungen in verschiedensten Existenz- und Konfliktsituationen. Und in besonderer Weise auch als Vater und inzwischen 9-facher Großvater. Die Anerkennungs-Bemühung zum Gegenüber auf menschlicher Augenhöhe, egal ob Kind oder Erwachsener, ist dabei die Hauptübung. Dann folgen die Balancen zwischen Wertschätzungen und Fragestellungen, auch konstruktiv kritischer Art. Und – den Druck von Erwartungen, durch einen Sog der Ermöglichungen zu ersetzen versuchen, ist mein tieferes Anliegen.
CAMPUS: Gibt es für Sie auch schwierige Begegnungen?
UMK: Ja, Ja, mit mir selbst und auch mit anderen.
CAMPUS: Was ist dann schwierig?
UMK: Die Energien unerfüllter Erwartungen oder ultimativer Forderungen, entweder aus bürokratischen oder moralistischen Haltungen, oder als Ausdruck von Enttäuschungen, oder mehr oder weniger berechtigtem heiligem Zorn. Zur Abwendung von Eskalationen hilft dann nur noch eine gewaltfreie Kommunikation – auch mit mir selbst. Da sind wir dann immer wieder auf eine gewisse Berührung der Güte und Gnade im Moment angewiesen. Als ultimo ratio gibt es aber auch noch vereinbarte Strukturen, wie zum Beispiel die Rechtsform jeweiliger Gemeinschaften.
CAMPUS: Sind Erwartungen zwischen Menschen nicht auch natürlich und berechtigt?
UMK: Oh, ja doch. Erwartungen sind vor allem berechtigt bei bedürftigen Menschen wie Kinder und bei Menschen in beeinträchtigenden Lebenssituationen durch Krankheit, Behinderung, Alter, usw. In der Erziehung sind eigentlich die Kinder die Alleinberechtigten von Erwartungen gegenüber ihrer Umwelt. Eltern und Pädagogen stellen hierfür ihr mehr oder weniger professionelles Lauschen zur Verfügung und werden dann zusätzlich zum Sprachrohr dieser Kindererwartungen. Allerdings können sich hierbei auch die Vorstellungen und unerfüllten Erwartungen der Erwachsenen mit denen der Kinder geheimnisvoll vermischen.
CAMPUS: Und die normalen zwischenmenschlichen Erwartungen?
UMK: Natürlich gibt es auch unter Erwachsenen berechtigte Erwartungen, wie beispielsweise durch Vereinbarungen und Verträge. Wie diese dann erfüllt und eingefordert werden, hängt ganz besonders von der sozialen Kompetenz der betreffenden Partner ab. Alleinige Ansprüche auf die absolute Wahrheit können dann zum Nährboden von kräftezehrendem Unfrieden werden. Nicht, oder einseitig und mangelhaft kommunizierte Erwartungen können häufig auch ein entsprechendes Maß an Enttäuschungen auslösen. Dennoch kann alles bei „gutem Willen“ auch menschenwürdig verhandelt werden. Die Kinder können dann nicht nur eine konflikthafte und spaltende, sondern auch eine friedensstiftende und zeitgleich spannende Welt aus Diversitäten erleben. Denn Monokulturen erzeugen doch das Ende unseres vielfältigen Lebens.
CAMPUS: Sie sind von Beruf ja auch Mediator – ab wann entsteht aus Ihrer Erfahrung ein Konflikt?
UMK: Wenn die Streitenergien die Beziehungskräfte überfordern oder zerstören. Ausgelöst in der Spannbreite von böswilligen Provokationen, bis hin zur Gewalt. Wenn aber Konflikte professionell gelöst werden – in der Regel dauert die Lösung so lange wie die Entstehung – können auch wieder Beziehungen auf einer höheren Bewusstseinsebene entstehen. Das ist dann Freiheit. Leid und Hass verbindet, Liebe löst auf.
CAMPUS: Gibt es eigentlich im normalen Leben etwas, was Sie nervt?
UMK: Normal scheint mir heute zu sein, dass fast alles möglich ist. Ja, eine dilettantistische Belehrung beispielweise, geht mir besonders unter die Haut. Ganz anders ist ein gesunder Dilettantismus, der kann aus einer Begeisterung für Neues kommen und kann gerade in der Pädagogik überspringen.
CAMPUS: Was ist eigentlich Ihr Verhältnis zur Waldorfpädagogik und zur Anthroposophie?
UMK: Nachdem ich im frühen Erwachsenenalter mit diesen zwei Feldern zu arbeiten und zu leben begann, kann ich heute für mich mit Erkenntnissicherheit sagen, dass beide Themen keine Lehren, keine Programme oder gar Dogmen sind. Die Anthroposophie kann ihrem Wesen nach ein Erkenntnisorgan für Mensch und Leben sein und die Waldorfpädagogik eine erziehungs-künstlerische Methode, Wissenschaft, Kunst und Religion menschenentwicklungsgemäß zu vermitteln.
CAMPUS: Gibt es für Sie dann überhaupt Waldorfpädagogen und Anthroposophen?
UMK: Waldorfpädagogen, wenn sie aus der Waldorfpädagogik handeln und Anthroposophen, wenn sie aus dieser leben und sprechen können – und weniger darüber.
CAMPUS: Welche Rolle spielt dabei Rudolf Steiner?
UMK: Rudolf Steiner gab für diese und viele andere Themen sehr weisheitsvolle holistische Betrachtungen und wertvolle Empfehlungen, die die liebevolle Verantwortung zu meiner selbst gewählten Aufgabe stärken und auch vorbildlich sein können, aber natürlich keine Plagiatskultur fördern sollen. Es ist von ihm mehrfach zu lesen, wie wichtig der in Freiheit selbstgewählte Weg zu sehen ist.
CAMPUS: Was ist da Ihre persönliche Position?
UMK: Persönlich bewege ich mich anthroposophisch, beziehungsweise spirituell, sinnbildlich zwischen Kerzenlicht und Lagerfeuer. Also zwischen Selbsterkenntnis und Weltinteresse. Insider ziehen zwischen diesen beiden Licht- und Wärmequalitäten leider manchmal immer noch mittelalterliche Mauern hoch.
CAMPUS: Ein interessantes Bild, aber was meinten Sie zuvor mit den erwähnten Methoden und gibt es da überhaupt einen wissenschaftlichen Anspruch in der Waldorfpädagogik?
UMK: Ja, und ob. Die Kernaufträge der Wissenschaften sind ja in erster Linie die Forschung, die Anwendung und die Lehre. Wer erfolgreich forschen will, sollte das „Fragen“ aushalten können. Aus grundsätzlichen Fragen können neue Methoden entstehen und die Waldorfschule ist eine explizite „Methodenschule“. Insofern ist das Lehrerkollegium immer auch ein Forschungs-Gremium. Methoden beinhalten Motive, Prozesse und Zwischenergebnisse.
CAMPUS: Was heißt das konkret?
UMK: Wenn beispielsweise eine Schule ein kostbares Unterrichtsfach wie Eurythmie, oder gar eine tendenzielle Architektur anbietet, ist sie deswegen noch nicht unbedingt eine waldorfpädagogische Schule. In der Art und Weise jedoch, wie sich jeder einzelne Unterricht in der Begegnung zwischen Schüler und Lehrer und deren gegenseitigen Lernprozesse auswirkt, kann sich eine Schule waldorfpädagogisch entwickeln. Goethe setzt da sogar eine erstaunliche Priorität in seinem Faust: „Das Was bedenke, mehr bedenke Wie“ – Eine Steilvorlage für jede Art von Pädagogik, Selbstschulung und Begegnungsereignissen. Deshalb sollte eigentlich auch die Waldorfpädagogik nie ein „paste and copy“ – Programm werden, sondern – jetzt gerne im Originalton Rudolf Steiners -, für diese zukünftige Pädagogik soll der Lehrplan „das sich entwickelnde Kind“ sein.
CAMPUS: Gibt es für eine solch spezielle Aufgabenstellung denn die entsprechenden Lehrkräfte?
UMK: Wenn wir so wollen, ja. Das heißt wir benötigen fortwährend einen Fähigkeitszuwachs von den Erwachsenen, die das allgemeine und individuelle der Kindheits- und Jugendentwicklungen beobachten und wahrnehmen lernen, um daraus eine besondere Art von Geburtshelferschaft – Hebamme, nennt Sokrates in der Antike den Pädagogen – für den Lebenslauf der uns anvertrauten Kinder entstehen zu lassen und diese dann möglichst freiheitlich über ihre eigenen Abhängigkeiten entscheiden können. Dies kann dann als „Erziehung zur Freiheit“ gemeint sein.
CAMPUS: Warum wird denn in Waldorfkreisen immer von einer „Erziehungs-Kunst“ gesprochen?
UMK: Diese Frage trifft ins Herz der Waldorfpädagogik. Im äußeren Leben sehen wir viele Kunstergebnisse zu mehr oder weniger anregenden Betrachtungen an den Wänden hängen, oder irgendwo stehen. Ich nenne es gerne und natürlich möglichst liebevoll, Rumsteh-Kunst. Der Ursprung aller Kunst sind jedoch Ideen und Ideen sind aus Liebe gezimmerte Gefäße, dann ist alles was folgt auch gut, schön und wahr. Diese Ideen können durch unterschiedliche Prozess-Techniken in Form, Farbe, Klang und Wort abgebildet werden. Das Erlernen dieser Techniken geschieht in der Schule bei den Schülern zuerst über den Weg von Reproduktionen mit Anleitungen und dann in zunehmender Selbstständigkeit. Die Pädagogen sind Künstler, wenn sich in jedem Unterricht durch die Interaktion mit den Kindern und Jugendlichen eigene Ideen abbilden. Denn jede Idee ist seelisch-geistigen Ursprungs. Übrigens ließe sich in einer Betrachtung zur Frage der Religion ähnliches sagen.
CAMPUS: Was ist denn das bisherige Erfolgsrezept von Waldorfschulen und die kommenden Herausforderungen?
UMK: Das Menschenbild in dieser Pädagogik ist, nach meiner Kenntnis zumindest im europäischen Kulturraum, von seinen Wurzeln her das einzige spirituelle, im Sinne verständlicher ganzheitlicher Sicht und Methoden. Also der Focus ist nicht auf übliche intellektuelle Wissensvermittlung reduziert, oder gar eine Nützlichkeitspädagogik für irgendwelche gesellschaftlichen Zwecke, sondern sie soll einer menschlich-ethischen Entwicklung dienen.
Die spürbare Herausforderung wird die Balance zwischen zeitgeistigen Kompromissen und einer innovativen Pädagogik aus den genannten hochwertigen Wurzeln heraus sein.
CAMPUS: Gibt es schon eine nennenswerte Veränderung seit der Zeit Ihrer Geschäftsführung?
UMK: Tja, eine ganz gravierende. Wenn jetzt Menschen zu mir kommen und sich freuen, dass man an der Schule wieder gegrüßt wird. Eine herzliche Begrüßung kann doch die Morgenröte einer Begegnung sein.
CAMPUS: Sie kennen viele Schulen, auch bis nach Afrika. Was ist für Sie das Besondere der Helmut von Kügelgen-Schule?
UMK: Das lebensfreudige gemeinsame Lernen-Wollen der meisten Kinder in Afrika, trotz manchmal dramatischer Lebensumstände, wünsche ich auch dieser Schule als Grundstimmung. Ich konnte über die letzten Jahre in Afrika, neben vielen für mich tragischen und beschämenden Lebenssituationen, auch Lebensglück bei gleichzeitiger materieller Genügsamkeit und dazu die Kunst des Improvisierens erfahren lernen. Ich glaube einige Menschen dieser Schulgemeinschaft haben ähnliche Fähigkeiten und gleichermaßen das Potential die großen Zukunftsherausforderungen für unsere Gesellschaft wie Interkulturalität, individuelle Inklusion, Berufsausbildung und tendenzielle Ganztagsschule, in die anstehenden Schulplanungen innovativ zu integrieren. Dieser Gemeinschaft wünsche ich für diese lebensnotwendigen Entwürfe – bei laufendem Betrieb -, ganz viel begeisternde Kraft!
CAMPUS: Sind Sie mit dabei?
UMK: Wenn es das Schicksal aller Beteiligten zulassen sollte – dann ja.