Das Interview mit Waltraut Maier zum 100. Geburtstag von Helmut von Kügelgen
Heute am 14. Dezember 2016 jährt sich der 100. Geburtstag von Helmut von Kügelgen. Waltraut Maier und ihr 2015 verstorbener Ehemann, Hans-Günther Maier, waren und sind maßgeblich unterstützend aktiv für die Gründung und Entwicklung einer Waldorfschule in Fellbach.
CAMPUS: Liebe Frau Maier, wie kam es Ihrer Erinnerung nach zur Gründung der Helmut von Kügelgen-Schule in Fellbach?
WALTRAUT MAIER: Helmut von Kügelgen lernte ich persönlich im Jahre 1971 kennen, als sich die Waldorf-Kindergartenbewegung entwickelte und er im gleichen Jahr mit den Mütterkursen als Vorstufe des Waldorfkindergarten-Seminars begann. An diesen Kursen nahm ich teil. Im selben Jahr hatte unser Waldorfkindergarten in Fellbach mit einer ersten Gruppe in einem Wohnhaus eröffnet. Daraus schöpfte Helmut von Kügelgen die Hoffnung, dass in Fellbach die dritte Waldorfschule im Stuttgarter Raum entstehen könnte. Er überreichte mir ein mehrseitiges zukunftweisendes Dokument mit dem Entwurf einer neuartigen sozialen Schullandschaft und dem Wunsch, in Fellbach eine Waldorfschule zu gründen. Ich konnte ihm aber zu dem Zeitpunkt keine große Hilfe sein, da ich mit zwei kleinen Kindern, dem Aufbau des Waldorfkindergartens und als Geschäftsfrau voll ausgelastet war. Wirtschaftlich gab es zudem eine Krise in Deutschland und so schien es mir noch nicht die richtige Zeit für eine Fellbacher Waldorfschulgründung. Sein Konzept für eine neue Waldorfschule schlummerte seitdem in einer Schublade meines Schreibtisches. Zwischenzeitlich entstand eine dritte Stuttgarter Waldorfschule in Stuttgart-Vaihingen.
1989, also achtzehn Jahre später, bildete sich die erste Gründungsinitiative von Eltern im Fellbacher Waldorfkindergarten für eine eigene Waldorfschule in Fellbach. Doch dann wurde die große Schülernachfrage durch jeweils eine zweite Parallelklasse an den bestehenden Waldorfschulen ausgeglichen. Der Wille zur Tat mündete schließlich 1990 in die Gründung einer Ganztagskindergartengruppe im Industriegebiet Fellbach Nord als Pilotprojekt des Wirtschaftsministeriums von Baden-Württemberg.
Helmut von Kügelgen stand uns, dem Förderkreis Waldorfpädagogik Fellbach. e.V., in all den Jahren helfend und beratend zur Seite. Die Persönlichkeit Helmut von Kügelgens mit ihrer besonderen, weisheitsvollen Art konnte einen Raum wärmend erfüllen. Er hatte die Fähigkeit, seine Gedanken bildhaft zum Ausdruck zu bringen. Die Zeugnissprüche, die er manchen seiner Kinder mitgab, können dies bezeugen. Seine Worte waren immer von einer warmen und liebevollen Strenge durchdrungen. „Jede Entwicklung kommt an ein Tal und dann geht es wieder nach oben“, war einer seiner hilfreichen Sätze zu dieser Zeit. Er begleitete 1974 die Grundsteinlegung des damals für drei Gruppen konzipierten Waldorfkindergartenbaus, und ebenso hilfreich stand er bei der Eröffnung der Ganztagesgruppe zur Seite. Aus dieser Verbundenheit mit ihm und dann auch zu seiner Tochter Dr. Michaela Glöckler, Schul- und Kinderärztin, ergab sich eine rege Vortragstätigkeit, was den Bekanntheitsgrad der Waldorfpädagogik in Fellbach förderte.
2007, wieder achtzehn Jahre später, bildete sich erneut eine kleine Elterninitiative zur Gründung einer Waldorfschule, und dieses Mal wurden die Vorbereitungen konkreter. Während wir das Konzept erarbeiteten, fiel mir wie zufällig der Entwurf Helmut von Kügelgens wieder in die Hände, und wir waren alle begeistert von seinen zukunftsweisenden Ideen, die darin enthalten waren. So war es ihm ein Anliegen, was wir heute im Campus Waldorf Fellbach anstreben: die enge Zusammenarbeit mit autonomen, integrierten Betrieben sowie ärztliche und sozialpädagogische Einrichtungen im Umfeld der Schule einzubinden. Mit dem inzwischen aus sechs Gruppen bestehenden Waldorfkindergarten und dem Haus der Gesellschaft für Menschenbildung durch Kunst in Fellbach, in dem Sprachgestaltung, Eurythmie und Heileurythmie, Malen und therapeutisches Malen angeboten wurden, war bereits ein Grundstein gelegt.
Im Schulkonzept sprach Helmut von Kügelgen auch von seiner Idee, Spanisch als Fremdsprache zu unterrichten. Eine Spanischlehrerin fand sich überraschend schnell ein, noch vor Eröffnung der Schule. So war es für uns folgerichtig, den Keim, der 1971 von ihm gelegt wurde, in seinem Namen lebendig werden zu lassen: Helmut von Kügelgen-Schule, Schule auf Grundlage der Waldorfpädagogik.
CAMPUS: Was haben Sie aus der persönlichen Begegnung für sich mitgenommen?
WM: Ganz viel. Ich war Regionalkreisbetreuerin für acht Waldorfkindergärten in Baden-Württemberg. Daher besuchte ich häufig auch die Pfingsttagungen der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten in Hannover, in den USA und in Schweden, zudem gab es die Treffen aller Regionalkreisbetreuer in Deutschland – und Helmut von Kügelgen war sehr oft mit dabei. Er war bei diesen Fortbildungen der ruhende Pol und seine Kommentare waren von großer Klarheit. Kein Wort zu viel!
Er war immer sehr spürbar anwesend und zugleich sehr zurückhaltend mit seinen Äußerungen und wenn er etwas sprach, hatte es besonderes Gewicht. Mit zunehmendem Alter wirkte er in sich gekehrter und doch immer sehr geistesgegenwärtig. Er strahlte eine weisheitsvolle Güte aus. Sein besonderes Verdienst war die von ihm ins Leben gerufene Internationale Waldorf-Kindergartenbewegung. Helmut von Kügelgen war uns ein großes Vorbild.
CAMPUS: Wie ist Ihr heutiger Blick auf die HvK-Schule?
WM: Es war eine verzögerte Geburt und im dritten Anlauf hat es dann geklappt. Ich bin mit der jetzigen Entwicklung und den Perspektiven sehr glücklich. In Rommelshausen als Standort konnten wir erst mal nicht landen. Obwohl es hierfür drei Architekturwettbewerbe gegeben hatte, wollte es das Schicksal anders. Heute hat sich dies aber als positiv für die weiteren Entwicklungen erwiesen.
Zur selbstverständlichen Offenheit gegenüber unserem lokalen Umfeld gehört, dass wir uns über weitere SchülerInnen aus Fellbacher Familien freuen würden. Ich denke, das neue Schulgebäude auf dem ehemaligen Schönemann-Gelände wird das Interesse zusätzlich fördern. Wir haben ein sehr gutes Mitarbeiterteam und inzwischen ein sehr kompetentes Lehrerkollegium – und dies bei andauernder Waldorflehrer-Knappheit weltweit mit inzwischen über 1000 Waldorfschulen.
Unsere Schule in Fellbach wurde auch gegründet, um waldorfsuchenden Familien kürzere Schulwege zu ermöglichen. Ich wünsche mir sehr, dass der inhaltliche Entwurf der Campus-Idee von Helmut von Kügelgen immer mehr ausstrahlt. Das ist mein Blick in die Zukunft!
Ich weiß, dass wir die Eltern wieder mehr für die Waldorfpädagogik interessieren könnten. Es ist pädagogisch sehr förderlich, wenn die Waldorfschule auch von den Eltern inhaltlich getragen wird, eine Eltern-Weiterbildung wieder stattfindet und dies den Eltern auch selbstverständliches Bedürfnis ist. Dadurch könnte wieder mehr gegenseitiges pädagogisches Vertrauen entstehen, zum Wohle der Entwicklung der Kinder für ihr ganzes Leben. Abschließend freue mich sehr über die Schulabschlüsse unserer ersten 12. Klasse, denn es sind doch alles „willkommene“ Quereinsteiger-Schüler gewesen, die zwischen der 5. und 12. Klasse zu uns kamen.
CAMPUS: Wie fanden Sie zur Waldorfpädagogik?
WM: Meiner Großtante, Lehrerin, und der Anthroposophie sehr nahe stehend, hab ich zu verdanken, dass sie meine Tätigkeit als Volksschullehrerin rege verfolgte und wir sehr interessante und freilassende Gespräche miteinander pflegten. Die erste echte Begegnung mit der Waldorfpädagogik hatte ich 1965, als ich die Sommertagung vom Bund der Freien Waldorfschulen in Stuttgart besuchte. Immer auf der Suche nach einer vom Kind ausgehenden entwicklungsgemäßen Pädagogik, wusste ich, dass ich nun auf dem richtigen Weg war. Ich kündigte bald darauf meinen Staatsschuldienst, um das Waldorflehrer-Seminar in Dornach, bei Basel in der Schweiz, zu besuchen. Die frei gesprochenen Vorträge und die Eurythmie haben mich während der Tagung sofort begeistert; und: Auf der Bühne stand immer ein wunderschöner Blumenstrauß – eine „gestaltete Umgebung“!
Meine Großtante war leider kurz zuvor verstorben. Hatte sie mir den Impuls zur Tagung gegeben? Oder wie hätte ich sonst zur Waldorfpädagogik finden sollen? Gerne hätte ich mich noch mit ihr über meine Schicksalswende unterhalten. //
Wir bedanken uns sehr herzlich für das aufschlussreiche Gespräch und für Ihr persönliches und das Ihrer Familie umfangreiche Engagement für die Helmut von Kügelgen-Schule in Fellbach.
Der Interview ist nachzulesen in der CAMPUS Mail Nr. 2, die gedruckt erhältlich ist und die es hier digital zum lesen gibt.